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Auch Pflege braucht Gesundheitsförderung

Interview mit Johann Große, Informationsstelle für Gesundheitsförderung in stationären Pflegeeinrichtungen (IGP)

 

Herr Große, Sie sind seit drei Jahren Projektkoordinator der IGP. Was ist deren Ziel und Aufgabe?

Johann Große (JG): Ziel der Informationsstelle ist es, Träger und Akteure von stationären Pflegeeinrichtungen für Gesundheitsförderung und Prävention zu sensibilisieren und ihnen den LeitfadenPrävention in der stationären Pflege“ (siehe Infokasten weiter unten) näher zu bringen. Als vorrangige Aufgabe sollen Einrichtungen dabei begleitet werden, Strukturen aufzubauen, die präventive und gesundheitsförderliche Organisationsentwicklungsprozesse zum Ziel haben. Mögliche Themenfelder sind Gesunde Ernährung, Körperliche Aktivität, Psychosoziale Gesundheit, Prävention von Gewalt und Stärkung kognitiver Ressourcen.

Die Grundlage unserer Arbeit ist das bundesweit gültige Präventionsgesetz und die daraus resultierende Landesrahmenvereinbarung Sachsen. Seit Ende 2018 ist die IGP im Rahmen von P. SACHSEN nun tätig, gemeinsam finanziert durch die gesetzlichen Pflegekassen und das Sächsische Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt (SMS).

Stehen Pflegeeinrichtungen nicht schon immer für Prävention und Gesundheitsförderung?

JG: Grundlegend ist das richtig. Pflegeeinrichtungen haben sich auf die ganz- oder halbtägige Betreuung von pflegebedürftigen Menschen spezialisiert. Hier inbegriffen ist die aktivierende Pflege, die die Selbstständigkeit und Unabhängigkeit des Menschen fördert. Primär geht es darum, vorhandene Fähigkeiten zur Selbstversorgung zu erhalten, und solche, die verloren gegangen sind, zu reaktivieren. Und das kann durch bekannte Dinge geschehen wie z. B. der bekannte Sitztanz oder Bastelnachmittage.

Alles was über die Selbstversorgung hinaus geht, fällt unter die Begriffe Gesundheitsförderung und Prävention. Hierzu zählen dann Veränderungsprozesse in der Einrichtung oder bei Bewohner*innen selber. Oft schaffen es Pflegebedürftige nicht mehr, sich selbst um entsprechende Angebote zu kümmern und sind dabei auf Hilfe der Mitarbeiter*innen der Pflegeeinrichtungen angewiesen. Aber auch den Einrichtungen fällt es nicht leicht, gesundheitsförderliche und präventive Veränderungen anzustoßen. An diesem Punkt setzt die Unterstützungsarbeit der IGP an.

Können Sie hierzu ein Beispiel geben?

JG: Stellen Sie sich eine Bewohnerin vor, die den Großteil des Tages im Sessel in ihrem Zimmer oder im besseren Fall im Aufenthaltsraum sitzt. Im Rahmen der aktivierenden Pflege wird sie dahin begleitet, wenn sie es allein nicht mehr schafft. Zusätzlich wird sie mehrfach motiviert und unterstützt, sich mehr zu bewegen, wie durch begleitete Spaziergänge. Das reicht natürlich nicht aus. Und so stellt sich die Frage, wie die Bewohnerin zusätzlich zu mehr Bewegung angeregt werden kann. Zum Beispiel können Schrittzähler zum Einsatz kommen. Diese für uns „Nichtbewohner*innen“ bekannte Technik könnte auch für Bewohner*innen Anreize schaffen. Kombiniert mit vertrauten visuellen Signalen, wie den Ampelfarben, zeigen sie die täglich bisher erreichte Schrittzahl an und können Aufforderungscharakter haben: Rot heißt z. B. nur 500 Schritte bisher. Gelb zeigt an, dass mehr als 1.000 Schritte absolviert wurden. Und Grün heißt „super – 2.000 Schritte geschafft“. Solche Systeme wurden derzeit auch bei uns in Deutschland positiv getestet und kommen schon punktuell zum Einsatz.

Fördernd wäre es dann noch, wenn die Einrichtung einen Bewegungspfad etabliert, der zum Schritte-Sammeln einlädt, diesen in ihrem Hauskurier bewirbt und in eine Sportwoche einbezieht. Dann können wir davon sprechen, dass sowohl bei der Bewohnerin als auch in der Organisation eine Entwicklung stattfand. Hierbei spricht man in der Gesundheitswissenschaft von Verhaltens- und Verhältnisprävention. Die Bewohnerin hat Anreize bekommen, ihren „Bewegungstag“ gesundheitsförderlicher zu gestalten (Verhaltensprävention), und die Einrichtung hat ihr Konzept für die Förderung von Bewegung erweitert (Verhältnisprävention). Diese beiden Veränderungen sind das große Ziel von Gesundheitsförderung und Prävention.

Wie sind Ihre Erfahrungen in der Entwicklung und Umsetzung von solch passenden Maßnahmen, auch vor dem Hintergrund der immer noch aktuellen Coronapandemie?

JG: Beispiele, die Gesundheit fördern, gibt es zahlreiche. Diese liegen jedoch meist in der Verhaltensebene, also bei der einzelnen Person. Beispiele, die auch die Verhältnisse und damit die Einrichtungen selbst positiv verändert haben, existieren dagegen kaum. Pflegeeinrichtungen waren in der Vergangenheit kaum in der Lage, grundlegend eigene Maßnahmen der Prävention und Gesundheitsförderung zu entwickeln und selbstständig umzusetzen. Das lag und liegt natürlich auch in den begrenzten Ressourcen selbst. Schon vor der Pandemie verhinderten die Zunahme von Pflegegraden, der Fachkräftemangel und die hohe Arbeitsbelastung die Umsetzung von passenden Maßnahmen. All dies wurde durch die Pandemie noch verschärft. Auch geringe freie finanzielle Mittel sind häufig ein Hemmnis. Zwar stehen allen stationären und teilstationären Pflegeeinrichtungen nach dem Präventionsgesetz finanzielle Mittel für die Umsetzung von gesundheitsförderlichen und präventiven Maßnahmen gemäß § 5 SGB XI zu, aber die Antragsstellung ist recht aufwendig und bindet an anderer Stelle benötigte Ressourcen.

Aus den Erfahrungen der Arbeit der IGP und der Pflegekassen zeigt sich, dass die Einrichtungen gern „fertige Angebote“ genutzt haben, bei denen der Aufwand der Implementierung gering ist. So überstieg die Anzahl der Bewerbungen bei der Umsetzung der Maßnahme „Es war einmal … MÄRCHEN UND DEMENZ“ der MÄRCHENLAND | Deutsches Zentrum für Märchenkultur gGmbH die Anzahl der verfügbaren Plätze stark. In den 25 beteiligten sächsischen Einrichtungen war das Programm, das wir von November 2020 bis April 2021 mitten in der Pandemiezeit durchführten, ein voller Erfolg – für Bewohner*innen und Pflegekräfte. Hier zeigte sich deutlich, dass eine große Offenheit für neue Wege besteht. Besonders, wenn die Projekte erprobt sind und den Einrichtungen Schulungen und Handlungsleitfäden sowie Materialien zur Verfügung gestellt werden, so dass gleich gestartet werden kann. (Anmerkung der Redaktion: Mehr zum Projekt „Es war einmal … MÄRCHEN UND DEMENZ“ finden Sie in unserem Beitrag.)

Was heißt das für Ihre zukünftige Arbeit?

JG: Gemeinsam mit den Trägern der Informationsstelle Pflege – den Pflegekassen der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) und dem Sächsischen Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt (SMS) – wird der zukünftige Arbeitsschwerpunkt auf der Entwicklung eines mehrjährigen sächsischen Modellvorhabens im Bereich der „Psychosozialen Gesundheit“ liegen. Das Jahr 2022 wird dazu dienen, einen Überblick über die vielfältigen Angebote zu gewinnen und erste Schritte in der Modellentwicklung umzusetzen. Hierzu suchen wir etwa fünf Modelleinrichtungen, die über ca. zwei Jahre bei der Einführung geeigneter Maßnahmen und Prozessschritte direkt begleitet werden. Unabhängig von der Modellentwicklung können sich interessierte Einrichtungen zu bestehenden evaluierten Gesundheitsförderungs- und Präventionsprojekten und weiterführenden Informationen von der IGP beraten lassen.

Darüber hinaus werden wir den Teil der Betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) im Modellvorhaben mitbedenken, da in der Pandemie die Belastung der Pflegekräfte in stationären Einrichtungen nochmal deutlicher geworden ist. Hierzu werden wir u. a. die Expertise der Arbeitsgruppe Betrieb, die im Rahmen von P. SACHSEN aktiv ist, in die Maßnahmenentwicklung mit einfließen lassen, um somit bestehende Synergien noch mehr nutzen zu können.

Dass Gesundheitsförderung und Prävention keinen Paradigmen- und Systemwechsel hervorrufen kann, sollte jedem bewusst sein. Auch bedeuten solche Prozesse immer Arbeit und Mehrbelastung für die Einrichtung. Jedoch können kleine Maßnahmen bereits Schritte sein, die später große Veränderungen bewirken.

Zur Person: Johann Große hat zehn Jahre als Gesundheits- und Krankenpfleger auf Intensivstationen gearbeitet, einen Bachelor in Pflegewissenschaft/Pflegemanagement erworben und sich zum Master of Public Health (MPH) weiterqualifiziert. Seit 2018 ist er bei der IGP im Rahmen von P. SACHSEN tätig.

Johann Große © SLfG

Infokasten

Der LeitfadenPrävention in der stationären Pflege gemäß § 5 Abs. 1 Satz 3 SGB XI ist die Anleitung und der Handlungsrahmen für die Umsetzung von gesundheitsförderlichen und präventiven Maßnahmen, mit dem Ziel, auf die Pflegeeinrichtungen selbst (Verhältnisprävention) und ebenso auf die Verbesserung des individuellen Gesundheitsverhaltens der pflegebedürftigen Menschen (Verhaltensprävention) einwirken zu können.


Die Informationsstelle wird gefördert unter dem Dach der Landesrahmenvereinbarung (LRV) für den Freistaat Sachsen gemäß § 20f SGB V zur Umsetzung des Gesetzes zur Stärkung der Gesundheitsförderung und Prävention (PrävG). Sie wird durch die Gesetzlichen Krankenkassen mitfinanziert.

 

Diese Maßnahme wird mitfinanziert durch Steuermittel auf der Grundlage des von den Abgeordneten des Sächsischen Landtages beschlossenen Haushaltes.


Kontakt

Informationsstelle zur Gesundheitsförderung in stationären Pflegeeinrichtungen
Johann Große, Projektkoordinator
Telefon: 0351 501936-53
E-Mail: grosse@slfg.de

©Adobe Stock_Monkey Business
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